Schokoladenkuchenexperience und andere Abenteuer (Luisa)

Ein Mann mit furchteinfloessendem Schnurrbart zerstoerte unsere Reisetraeume:
Ohne "letter of invitation" wollte er uns nicht 30 Tage in den Iran reinlassen, und bis so ein Wisch beantragt ist hat das Studium in Deutschland schon dreimal ohne uns angefangen.
Also bloss ein Transitvisum und nur 5-7 Tage im lang ertraeumten Persien!
Frustriert von diesem unmodischen Moechtegern-Tuersteher des Mittleren Ostens fahren wir nach Agra um Taj Mahal, dem angeblich "schoensten Bauwerk der Erde" seine touristische Gunst zu erweisen.

Ich fahre zum zweiten Mal in der (unfassbar guenstigen) zweiten Klasse im Zug, doch zum ersten Mal erlebe ich, wie Menschen sich uebereinander stapeln muessen, um mitzufahren, wie alte Maenner aus offenen Zugtueren kotzen, die fahle Gesichtsfarbe der zwischen Koffern, Armen, Baeuchen und Beinen Eingequetschten und meine eigene Atemnot. Hier kann jeder mitfahren, wenn er die Panik und das Geschrei aushaelt - und die Ellenbogen einzusetzen vermag.

Szenenwechsel: In Agra finden wir uns ploetzlich im nobelsten Hotel der Stadt wieder, gebettet auf Kissen in einem Pavillion auf dem Dach, umspielt von wehenden Gardinen und rieselnder Musik, zum ersten Mal seit Wochen und Monaten wieder biertrinkend. Der Couchsurfer, der uns hierher einlaedt, kennt den Besitzer.

Unsere Klamotten sind versifft und unsere Augen riesengross, als er uns danach auch noch in ein (fuer unsere Verhaeltnisse) todschickes Restaurant entfuehrt, wo die Waende diamanten glitzern und die Kellner Leckerbissen aus geschwungenen Schalen unterwuerfig auf dem eigenen Teller platzieren. Nennt man das Kulturschock? Das Restaurant hatte zu allem Ueberfluss diesen wunderschoenen Tuersteher (keine Wachsfigur!):


Tuersteher-mit-Bart
(Er gewinnt jeden Schnurrbartwettbewerb)

Pennen koennen wir bei unserem Schicki-Couchsurfer nicht, weswegen wir uns um 1 Uhr nachts auf die Suche nach einem Schlafplatz in den Gassen von Agra machen: Wir wollen nur 3 Stunden schlafen, um vier Uhr aufstehen und das Taj Mahal bei Sonnenaufgang leuchten sehen.

Wir finden die Dachterrasse eines Hotels und pennen bis die Muezzine uns mit ueberirdischem Gesang von den verstreuten Minaretten der umliegenden Moscheen wecken. Wir blinzeln in die Nacht; vom Dach aus sieht man das Taj Mahal wie eine weisse Erscheinung, der Vollmond schwebt unwirklich darueber, wir sind offensichtlich in einem Maerchen gelandet.

Obwohl bloede Polizisten mit riesigen Gewehren uns erst nach Sonnenaufgang reinlassen, stehen wir schliesslich wie benommen vor dem sich unwirklich am himmel abzeichnenden bluetenreinen Marmor und verstehen, warum es Touristenmassen hierher zieht. So fasziniert sind wir, dass wir uns mitten auf dem Asphalt neben dem Taj ausstrecken und ins Reich der Traeume uebergleiten... ein aussergewoehnlicher, doch unbequemer Platz fuer ein Nickerchen!

Taj-Mahal
(Waren wir tatsaechlich dort oder ist es nur eine Fototapete...? )


Zurueck in Delhi schlafen wir uns bei einem Couchsurfer mit 6 Hausangestellten und Chauffeur aus, der jede unbeobachtete Gelegenheit nutzt, uns Glaeser mit Wodka und Litschisaft in die Hand zu druecken. Auf jeden Fall haben wir die Einkommensunterschiede zwischen den verschiedenen sozialen Schichten in Indien am eigenen Leib erfahren!

Am naechsten Tag erleben wir unser blaues Wunder.

Ein Versuch der metaphorischen Beschreibung des Gefuehls dieses Tages (Copyright Polle): So, wie wenn man den ganzen Tag in der Wueste unmoeglichen Bock auf Schokoladenkuchen hat; und auf einmal kommt ein Fremder, drueckt dir ungefragt besagten riesigen, duftenden Kuchen in die Hand und sagt: "Na, haste Bock auf Schokoladenkuchen?" Ja, so war dieser Tag!

Alles fing an mit einer Erscheinung in der U-Bahn, die irgend etwas in der Luft verschob und am Schicksal drehte. Eine aeltere Frau in engelsweisser Kutte winkt mich auf den Platz neben ihr; Lachfalten spruehen in ihrem Gesicht, das Zeichen Krishnas vergoldet ihre Stirn. Sie ist Inderin doch spricht Englisch mit franzoesischem Akzent und singt so laut "Hare Krishna", dass die ganze U-Bahn bloed guckt. Sie lacht schallend, umarmt mich und schenkt uns Suessigkeiten, laedt uns in ihren Krishnatempel ein und verschwindet dann so schnell wieder geisterhaft in der Menge wie sie gekommen ist.

Nach ihr wurde alles anders. Wir gehen in die Botschaft denken, "na toll, dann eben nur fuer 7 Tage in den Iran". Da sagt der Mensch uns dort: "Sie wollen ein Transitvisum? Warum nicht ein 30-Tage-Visum? Dauert nur eine Woche. Ich organisier das." Ja geil, denken wir, wir kriegen es... aber ohne Paesse koennen wir nicht nach Pakistan und muessen weiter in Delhi rumhaengen! Da sagt der Mensch: "Hier sind ihre Paesse, der Stempel kommt in einer Woche". Zack, da war er, der Schokoladenkuchen! Die Freude brodelt hoch, wir koennen nach Pakistan! Zur Feier des Tages gibts ein Super-Deluxe-Special-Monster-Thali (indisches Menue)...


Golden-Tempel
(Pauls improvisierter Turban und der goldene Tempel)


Dann machen wir uns auf den Weg Richtung Grenze... Und erkunden davor die Wunder der Sikh-Religion, einer Art modernen Reform des Hinduismus, die das Kastensystem ablehnt und Maenner und Frauen als gleichgestellt ansieht. Eine ganz andere Stimmung durchflutet Amritsar, die Stadt der baertigen Sikhs mit ihren gewaltigen Turbanen, wallenden Baerten und furchteinfloessenden Saebeln - eine alte Kriegerkaste, die humane Ideale sowie harte Arbeit zum Grundstein ihrer neuen Religion gemacht hat. "Service to humanity is real service to God" lautet die Aufschrift auf einem Denkmal in der Innenstadt - der Unterschied zur Goetzenanbetung des Hinduismus scheint uns meilenweit.

Im goldenen Tempel vom Amritsar, dem wichtigsten Heiligtum der Sikhs in der Welt, weht ein anderer Wind als in allen anderen Gotteshaeusern, die ich je gesehen habe: In der Tempelkueche bereiten jeden Tag hunderte von Freiwilligen Umsonst-Essen fuer Angehoerige aller Schichten und Religionen; 24 Stunden leuchtet dort das Herdfeuer und auch wir kriegen unsere Portion Rotis und Dhal ab.

Essen-for-free
(Freiwillige schneiden Zwiebeln fuer die Tempelkueche)

"In Amritsar muss niemand hungern" sagt unser Sikh-Couchsurfer, der einen unglaublichen Turban traegt und in einem 200 Jahre alten Fort mit Zuchtpferden, Kuehen und Swimmingpool wohnt, das er umsonst Reisenden aus aller Welt zum schlafen und schwimmen ueberlaesst. Reshma, eine seiner Angestellten mit dreckiger Lache, drei Woertern Englisch und unbesiegbarem Temperament, wird unsere beste Freundin und wir streichen mit ihr einen halben Tag lang um die Pferdestaelle, melken die Kuehe und machen endlose Foto-Shootings mit ihr und ihren Homies...


Die-Gang

Luisas Gang auf "unserer" Farm in Amritsar


Pauls-Gang

... und Pauls Gang. Welche ist cooler?

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