Plötzlich Deutschland. (Paul)

Was soll man denken, wenn man plötzlich beheizte Toiletten mit eigens ausgeschilderter Helmablage hat, was soll man denken, wenn die Bedienung nicht mehr flexibel ist beim Frühstück machen und sich strikt weigert ein Rührei ohne Salatbeilage zu machen ("Nein, das Frühstückset ist fest vorgeschrieben!"), was soll man denken, wenn die Leute einen komisch angucken, nur weil man ein freundliches Lächeln im Gesicht hat, was soll man denken, wenn plötzlich jeder Auto fährt und alle Menschen beim abbiegen blinken, auch wenn niemand sonst auf der Straße ist?

Nun, bei mir kamen Heimatgefühle auf. Sicherlich, ein wenig genervt war ich auch, ein wenig geschockt von der Kälte in Luft und Herzen, aber auch Belustigung und das Gefühl im Bauch, wieder zu Hause zu sein, all die Menschen wieder zu treffen, die ich seit über einem Jahr nicht gesehen hatte.

Nachdem Jakob, Luisa und ich regnerische Tage in Istanbul verbracht hatten, seit langem wieder in einem Club mit guter Musik feiern waren, uns zwischen Fischbrötchen und Riesenbasaren hin und her bewegt hatten, machten wir uns auf den Weg, auch den Rest unserer Reise über Land anzugehen.


Mmmh... lecker Maden-Büffet.
(Mmmhh, lecker Madenbüffet... ein Essensladen auf dem Weg out of Istanbul)


Wir trampten wieder einmal viel zu spät nach einem guten Frühstück los (Nun aber endgültig: Wir sind Frühstücksmenschen!), verließen Istanbul am späten Nachmittag, wären fast an der unbeschreiblichen Größe dieser Stadt gescheitert und erreichten nachts die bulgarische Grenze. Dort beschlossen wir all jene abzufangen, die von der Türkei nach Deutschland fahren wollten: Deutsche Urlauber, deutsche Familienbesucher, türkische Arbeiter, deutsch-Türken, türkisch-Deutsche; alle, die diese jahrhunderte alte Länderverbindung zwischen Deutschland und der Türkei hervorgerufen hatte. (Schon im Kaiserreich, zu Beginn des letzten Jahrhunderts, hatte es rege Beziehung zwischen den beiden Ländern gegeben - nicht erst mit Helmut Kohl)
Wir warteten und warteten und versuchten so gut es ging mit der eisigen europäischen Kälte zurecht zu kommen.


grenze
(Sonnenaufgang an der türkisch-bulgarischen grenze nach einer durchfrorenen Nacht)

Anybody going to Sofia??
(Fährt hier irgendjemand nach Sofia?)


Autos über Autos fuhren an uns vorbei. Die in Deutschland lebenden Türken entschuldigten sich mit großen Gesten dafür uns nicht mitnehmen zu können, die Deutschen mit türkischem Hintergrund sprachen zwar mit uns, fanden aber auch Gründe, warum sie keine Anhalter mitnehmen könnten und die Deutschen guckten uns nicht einmal an.
Schließlich aber war uns Fortuna hold und wir trafen einen in Deutschland beim Italiener arbeitenden türkischen Pizzabäcker, der trotz seiner kurzen Zeit in Deutschland, die Sprache hervorragend beherrschte und spießiger als jeder Deutsche auftrat (Er fuhr einen während der Fahrt mehrmals geputzten VW -Golf und erzählte immer wieder wie gut ihm die Sicherheit und Sauberkeit in Deutschland gefallen würde).

Innerhalb von 20 Stunden, am Lenkrad abwechselnd, durchquerten wir den Balkan. Bulgarien, Serbien, Kroatien, Slovenien, Österreich um schließlich und letztendlich morgens zum Sonnenaufgang bei Passau über die Grenze zu fahren.
Hatte ich im Ausland immer das Gefühl, dass der Rest der Welt mit unglaublichen Naturschönheiten aufwarten kann, Deutschland aber in grau und Eintönigkeit versinkt, wurde ich hier eines besseren belehrt. Kleine weiß getünchte Dörfer mit Kirchturm in grünen Wiesen versinkend, strahlend bunte Laubbäume und eine klare, kalte Herbstluft verzauberten mich.

zurück in deutschland
(Eine Tankstellen-Toilette die so sauber ist, dass sie zum Zähneputzen einlädt... unfassbar! Für uns in diesem Moment der Inbegriff von europäischem Luxus.)

Wir stiegen in Chemnitz aus, bedankten uns, aßen ein Frühstück an der Tankstelle und machten uns dann per Anhalter in Richtung Düsseldorf/Haan auf. Der verrückte Höhepunkt und auch Abschlusspunkt unserer Reise waren drei Iraner, die gerade aus Munster!!! kamen und uns direkt an die Autobahnausfahrt brachten. Wer sich da wohl einen Spaß erlaubte. Der Gedanke Teil eines großen Plans zu sein, lag mir nicht fern.


Nun,was sollte ich denken, endlich, schlussendlich erfreut aber auch verdammt wehmütig wieder in Deutschland zu sein?
Eigentlich dachte ich nicht an Deutschland, vielmehr musste ich immer wieder zurück denken, an dass was die letzten drei Monate für mich bereit gehalten hatten, und auch was das letzte Jahr mir gezeigt hatte.

Die Welt, liebe Freunde und Leser, ist ein guter Ort, ein ziemlich guter - der einen großen Haufen Scheiße bereit hält und beides zu einer unwiderstehlichen Mischung vermengt. Wir haben unglaublich viele Menschen getroffen, die uns einfach, ohne auf den eigenen Vorteil zu schauen, geholfen haben. Wir haben mit Leuten gesprochen, die sich schier übermächtig über den Ideenaustausch mit uns gefreut haben. Wir wurden oft aufgenommen, versorgt, transportiert.
Ich erinnere mich an den verlassenen Mann in Thailand, der uns zu Bier und Essen eingeladen hat,
ich erinnere mich an den Inder in Malaysia, der mir die Haare ab rasierte um mich dann von seinem Bruder zum nächsten Internetcafe fahren zu lassen,
ich erinnere mich an die tibetischen Mönche in Darjeeling, die uns in Kälte und Nässe einen warmen Schlafplatz ermöglichten,
ich erinnere mich an den Motorradfahrer in Delhi, der den Straßenverkehr blockierte um uns in den richtigen Bus zu schicken,
ich erinnere mich an all die netten Couchsurfer, an Mr. Singh, zum Beispiel, der sein Hotel zur Verfügung stellt um die Welt zu vereinen, an Yasir, seine Familie, an Tariq, die uns mit einer Gastfreundschaft überschütteten, die mich noch immer überwältigt, an die Menschen im Iran, die mich zum Essen und Schlafen einluden, die mich gegen meinen Willen an die richtigen Orte brachten und mir halfen, an Can und seinen tollen Campingplatz auf dem wir umsonst wohnten, an Luisas Freunde, die uns ihre Wohnung in Istanbuld zur Verfügung stellten...

schließlich erinnere ich mich an all die Menschen in Deutschland die sich für uns interessierten und uns unterstützten und ich kann nur sagen,
die Welt, mein Freund, ist ein guter Ort und nichts wird ihr weniger gerecht als Angst vor ihr zu haben. Denn Angst ist das, was uns auseinander bringt, die Angst vor Amerika, die den Mullahs im Iran die Macht gibt, die Angst vor der westlichen Welt, die die Taliban in Pakistan unterstützt, die Angst vor dem Islam, die all den Sarrazins und Wilders in die Hände spielt, die Angst vor Pakistan, die die Fundamentalisten in Indien Soldaten ausbilden lässt.

Die Welt mein Freund, ist ein guter Ort und es liegt an uns etwas daraus zu machen.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Plötzlich Deutschland....
Was soll man denken, wenn man plötzlich beheizte Toiletten...
MrPollsen - 29. Okt, 14:59
Oh Tuerkei! (Luisa)
Ich bekam meinen Passport wieder, verabschiedete mich...
MrPollsen - 8. Okt, 00:49
Was nach Pakistan geschah...
Seit jener Nacht, in der ich mich mit einem ungueltigen...
MrPollsen - 7. Okt, 22:37
Durch's wılde Kurdıstan
Der Osten der Tuerkeı ıst eıne harte, karge, huegellıge...
MrPollsen - 5. Okt, 16:54
In 10 Tagen durch Persıen...
In Tehran gelandet, wurde mır schnell wıeder der Vorteıl...
MrPollsen - 24. Sep, 23:02

Links

Suche

 

Status

Online seit 5049 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 29. Okt, 15:02

Laos-Alltag
Reise
Reise (von Luisa)
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren